Luanne's Kurzgeschichten-Sammlung (Updated 12.03.)

-~Blood~-

Blut. Überall war Blut. Was war denn hier wieder passiert? Verärgert über die Unordnung und die Sauerei, die er schon von der Haustür aus in der Küche sehen konnte, stieg Rhys über einen riesigen Haufen von Hollys Schuhen, der unpassenderweise einen Meter vor der Tür lag. Er rief erst gar nicht nach seiner Schwester, er wusste, dass sie sowieso nicht da war. Nach einem ihrer Experimente war sie nie da.
Leise knurrend zog Rhys Schuhe und Socken aus, da er keine Lust hatte, das Blut, in das er treten würde, wieder aus seinen Socken zu schrubben, und lief barfuß in den blutverschmierten Raum. Glücklicherweise war das Blut nur an den gefliesten Stellen von Wand und Boden.
Plötzlich trat Rhys auf etwas Pelziges. Er riss seinen Fuß hoch und erblickte darunter einen Fetzen goldbraunen Fells. Als er in die Hocke ging, um es näher zu betrachten, ertönte Hollys Stimme hinter ihm: "Bevor du fragst: Ich habe Hamster gesprengt." Sie gähnte leise.
Zutiefst geschockt drehte er sich in die Richtung, aus der er sie vernommen hatte. Also ist sie doch da, dachte er.
"Du hast was?!"
Entsetzt sah er seine kleine Schwester an, die auf einem Stuhl saß und seinen Blick seelenruhig erwiderte.
"Du hast schon richtig gehört. Keine Sorge, die waren schon tot. Die Zoohandlung hat vorhin angerufen und mir gesagt, dass drei ihrer Goldhamster plötzlich gestorben seien. Sie waren noch nicht lange tot, als ich sie geholt habe."
Rhys schnaubte genervt. "Wozu hast du sie gesprengt?"
"Um zu sehen, wie weit Blut bei einer Explosion spritzt. Leider war der Sprengstoff nicht stark genug und es sind Fellfetzen geflogen. Tut mir leid." Sie grinste. Er wusste, dass es ihr ganz und gar nicht leidtat.
"Ich mache es auch wieder sauber", fuhr sie fort. "Versprochen."
Rhys gab sich geschlagen. Seltsame Experimente in der Küche waren leider keine Seltenheit. Zumindest nicht bei Holly.

Wie merkwürdig. Niemand schien es zu bemerken. Dabei war es doch offensichtlich, oder?
Ich stand mitten in der Innenstadt, war einfach stehengeblieben. Die Menschen wichen mir aus, sie alle schienen beschäftigt zu sein. Manche hatten das Handy am Ohr, andere eilten mit Aktentaschen durch die Straßen. Wieder andere spazierten langsam mit Einkaufstüten in der Hand an den Schaufenstern vorbei. Aber ich stand nur da und starrte auf den Boden. Sah es denn niemand?
Wenn man nur kurz hinschaute, sah man bloß den rötlichen Pflasterstein. Wenn man aber genau hinsah, wie ich es tat, sah es anders aus.
Es war, als würde ich auf einer Glasplatte stehen. Ich konnte durchschauen. Das, was ich sah, gefiel mir nicht. Unter der Scheibe schien ein riesiges Feuer zu brennen. Rote Flammen züngelten empor und leckten an dem Glas unter meinen Füßen. Dieses schien langsam zu schmelzen.
Wenn unter mir so etwas war, was war dann über mir? Ich hob den Blick und schaute in den Himmel.
Auch über mir schien sich eine Glasscheibe zu befinden. Aber auf der anderen Seite war kein Feuer. Auf der anderen Seite befand sich diesmal Wasser. Zumindest glaubte ich, dass es Wasser war. Es schimmerte bläulich, wie das Wasser in Schwimmbecken.
Dann bemerkte ich einen Sprung in der Scheibe. Durch das gewaltige Gewicht, das auf dem Glas lastete, breiteten sich Risse aus. Wie lange würde es dauern, bis die Scheibe unter mir schmolz oder die über mir zersprang? Und was würde zuerst passieren?
Bemerkte es wirklich niemand? Es sah so aus, als befänden wir uns zwischen zwei Welten, und keiner nahm Notiz davon?

-~Poison~-

Die Uhr zeigte halb elf, als Rhys sich auf das weiche blaue Sofa fallen ließ und den Fernseher einschaltete. Er widerstand dem Drang, seine Füße auf dem Couchtisch abzulegen und zappte durch die Kanäle. Nirgendwo lief etwas, das er sehen wollte. Schließlich entschied er sich für eine Talkshow. Eigentlich könnte ich schlafen gehen, dachte Rhys. Aber ob ich einschlafen kann, ist die Frage.
Er achtete nur halb auf das Gerede im Fernsehen, als Holly ins Wohnzimmer kam. Sie würdigte ihn keines Blickes und stapfte zum Fenster. Eine Weile blieb sie davor stehen und schaute hinaus, dann drehte sie sich wieder um. Als sie am Fernseher vorbeilief, bemerkte Rhys einen kleinen Plastikbecher in ihrer Hand. Was hatte sie damit gemacht?
Die Talkshow langweilte ihn, also griff Rhys nach der Fernbedienung und schaltete um. Ein anderer Sender zeigte einen Film, den er schon gesehen hatte. Kurz darauf fielen ihm die Augen zu.

Um viertel nach drei wachte er auf. War er im Sitzen eingeschlafen? Fühlt sich so an, dachte er. Er blieb noch eine Weile sitzen, weil ihm der Nacken wehtat und schaute durch den Raum.
Irgendwann fiel sein Blick auf die Fensterbank, auf der einige Pflanzen standen. Sie hatten seiner Mutter gehört, er hatte sie weiter gepflegt und dabei festgestellt, dass er scheinbar einen grünen Daumen hatte. Eine Orchidee, die eigentlich weiße Blüten haben sollte, hatte die Farbe geändert. Zwar sah die Pflanze an sich noch recht gesund aus, aber die Blüten waren lila, Rhys fand die Farbe gar nicht hässlich.
Aber woher war das Lila plötzlich gekommen? Hatte Holly etwas damit zu tun? Er erinnerte sich an den kleinen Becher, den sie in der Hand gehabt hatte. Was war darin gewesen?
Er würde sie am Morgen danach fragen.

„Holly!“, rief Rhys und hoffte, dass sie schon wach war. Immerhin war es halb acht und Holly hatte Ferien.
Er hörte schnelle, leise Schritte, als sie die Treppe herunterkam. Kurz darauf stand sie vor ihm und sah ihn fragend an.
Rhys deutete auf die lilafarbene Orchidee auf der Fensterbank. „Hübsche Farbe, oder?“
Holly nickte und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Was hast du der Pflanze gegeben? Gift?“ Das würde erklären, was sie mit dem Becher gemacht hatte.
Nun sah sie ihn an, als würde sie an seinem Verstand zweifeln. „Gift. Natürlich. Dann wäre die Pflanze jetzt völlig verdorrt. Nein, ich habe rote und blaue Tinte gemischt und sie damit gegossen. Das war kein Gift.“